Über den gesamten Film verteilt der Joker eine ganze Ladung an wunderbar zitierbaren Aussagen, die seinen Charakter und seine Motivation beschreiben, doch keine trifft den Nagel auf den Kopf, wie die folgende:
“When the chips are down, these civilized people … they’ll eat each other.”
“Ich kann keiner Fliege etwas zu Leide tun.” würden viele Menschen von sich behaupten oder sich zumindest “zu den Guten” zählen und in vielen Fällen würden sie nicht mal lügen. Der unterbewusste Drang und die angeborene Angewohnheit sich zur Ausnahme zu zählen, ist per se nichts schlechtes, sondern eine Illusion, die uns von unserem Unterbewusstsein vorgesetzt wird um uns vor der dunklen Leere zu bewahren, die wohl oder übel ein Stück weit in jedem von uns schlummert und im gefährlichen Notfall das Steuer übernimmt. Eine Illusion, die durch unsere Gesellschaft und Regeln bekräftigt wird. So sieht das zumindest der Joker.
“Do I really look like a guy with a plan? You know what I am? I’m a dog chasing cars. I wouldn’t know what to do with one if I caught it!”
Oft wird der Joker in seiner Vorgehensweise missverstanden, u.a. deshalb weil er sich selbst dem Publikum unter seinem Wert zu verkaufen versucht. Er behauptet, er handle sowohl ohne Grund als auch ohne Planung und Vorbereitung, schließlich spiegelt diese Einstellung seine Agenda der absoluten Anarchie und des Chaos adäquat wieder. Doch dass der Joker seine Heuchlerei unter vorsichtig aufgebauten und überzeugend vorgetragenen Lügen verstecken würde, passt genau so sehr zu seinem amoralischen Charakter, wie zur Tatsache, dass er Regeln so sehr verachtet, dass er sogar seine eigenen missachtet, zu erkennen an dem Zünder, den er bei sich trägt (“Can’t rely on anyone these days. You gotta do everything yourself. Don’t we? That’s okay. I came prepared. It’s a funny world we live in.”) Oder an der Wahl, die er Harvey Dent vorgibt zu gewähren, indem er ihm einen Revolver in die Hand und den Lauf auf seine Stirn drückt, den Daumen jedoch stetig auf den Hahn der Waffe presst, sodass selbst wenn Harvey schießen würde, das Reagieren des Revolvers unmöglich ist. Die Korruption Gothams (und metaphorische Zerstörung der Zivilisation, die eine Stadt darstellt), ist das Ziel des Jokers, doch sein “nicht existenter” Plan ist ein intrigantes und enorm detailliertes Meisterwerk eines Superhirns. Im Gegensatz zu dem was Alfred oder sogar der Joker selbst über ihn sagen, ist sein Handeln keineswegs instinktiv, animalistisch oder chaotisch, sondern logisch, klar definiert und äußerst raffiniert. Nur lässt der Joker einen kleinen Teil seines Plans “leer”, lässt diesen durch Ereignisse füllen, die sein vorheriges Handeln provoziert hatten (meistens übernimmt dies Batman) und passt seine folgenden Pläne dem Resultat an. Doch wieso macht sich der Joker diese Mühe?
“The only sensible way to live in this world is without rules. … And tonight you’re gonna break your one rule.”
Er ist intelligenter und in diesem Sinne auch stärker als Batman und hatte im Laufe des Films mehrmals die Gelegenheit ihn zu töten, doch tat er dies nicht. Der Joker ist besessen von Batman, er liebt Batman und hasst ihn zugleich. “What would I do without you? Go back to ripping off mob dealers? No. No. No! No, you … you complete me.”, sagt der Joker und trifft den Nagel auf den Kopf. Er und Batman sind zwei Seiten einer Medaille, sie sind Ying und Yang und können ohne einander nicht existieren. Batman versucht sich vom Joker zu differenzieren, “You’re garbage who kills for money.”, sagt Batman um sich selbst besser fühlen zu können, doch der Joker weiß es besser. Er hätte ohne Batman keine Herausforderung, Batman hätte ohne den Joker nicht nur keinen Sinn mehr, sondern das Volk, das ihn momentan braucht und liebt, würde sich gegen ihn wenden (“To them, you’re a freak. Like me. They just need you right now. But as soon as they don’t, they’ll cast you out.”)
Der Joker ist ein Mann, der das Theater genießt, der aus seinen Verbrechen eine Show macht und wenn er eines begeht, er dabei gesehen werden will. Er trägt grüne und lila Kleidung und schminkt sein Gesicht um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Im Gegensatz zu Batman, der sich ebenso wie ein Freak kleidet und durch die Nacht streifend sein Gesicht verdeckt, nimmt der Joker sich kein Stück weit ernst. Er ignoriert es, wenn er als Clown bezeichnet wird und behauptet impulsiv und planlos zu sein, wenn das genaue Gegenteil der Fall ist. Dass Batman, der sich hingegen viel zu ernst nimmt, ihm so ähnlich, aber dennoch so radikal anders ist, fasziniert den Joker und treibt ihn dazu mit Batman die Konfrontation zu suchen. Batman verstößt in seiner Selbstjustiz dabei genauso gegen das Gesetz, wie der Joker selbst und tief im Inneren stimmt er dem Joker und seinem Existentialismus vielleicht sogar zu … er weiß, dass die “braven Bürger” Gothams beim Anzeichen großer Gefahr und im Falle der absoluten Gesetzlosigkeit zu Tieren verkommen würden. Dass Batman dies einsieht, aber dennoch zu den Menschen hält, treibt den Joker dazu Batman zum Brechen seiner einzigen Regel zu zwingen. Er will, dass Batman tötet, auch wenn er selbst dabei zu Batmans erstem Opfer wird. Ob er allerdings damit Batman etwas beweisen möchte, oder sich selbst, oder Gotham, weiß er vermutlich nicht mal selbst und womöglich ist es ihm auch vollkommen egal.
“See, I’m not a monster. I’m just ahead of the curve.”
Die Verhörszene zwischen Batman und dem Joker in “The Dark Knight” wickelt gefühlt die Hälfte der Charakterentwicklung des Jokers des gesamten Films ab, indem seine Motive, seine Philosophien und Ideologien im Subtext zur Sprache kommen. Der Joker ist der Mann zu dem der “gute Bürger” Gothams verkommen wird, sobald der Joker sein Ziel erreicht und die Farce einer Regierung, all die Regeln, Gesetze und das Patriarchat (man beachte seinen Hass zu seinem Vater, eine symbolische Figur der höheren Gewalt) heruntergerissen und die Gesellschaft zu ihrer reinsten und ehrlichsten Form verholfen hat. Er ist in seiner verdrehten Logik einfach nur “seiner Zeit voraus”. Und egal was der Joker sagt, so moralisch verwerflich und falsch sich all dies anhört und man Batman die Daumen drückt, kann man eine gewisse Faszination für den Joker nicht leugnen. Das Niederreißen dieser Illusion, der Gesellschaft ihre dunkelsten Abgründe vorzuzeigen und die Menschen zu ihren barabarischen Wurzeln zurückzuführen, über die wir ohne imaginäre Regeln und Autoritäten nie hinweggekommen wären, ist die Motivation, das Ziel des psychopathischen Anarchisten.
Dieses existentialistische Weltbild des Jokers, das Fehlen jeglicher Moral, Regeln, Gesetzen und eines Kodex, sind der Inhalt der wohl größten Philosophen des 19. und 20. Jahrhunderts, allen voran Nietzsche, Camus und Sartre. Dass der Existentialismus, die Idee, dass unsere Existenz absolut sinn- und bedeutungslos ist, in unserer Gesellschaft bereits angekommen ist, merkt man an der Beliebtheit von Filmen wie “Fight Club” oder “Taxi Driver”, der steigenden Bewandertheit der Leute in Sachen Naturwissenschaft und der immer säkulareren und skeptischeren Einstellung vieler Menschen im Vergleich zum letzten Jahrzehnt oder dem davor. Ob dies auch der Grund ist, wieso die Figur des Jokers aus “The Dark Knight” eine so positive Resonanz des Publikums erhalten hat, sei mal dahingestellt. Doch Fakt ist, dass die Kombination aus der einschüchternden Bedrohung, die vom Joker ausgeht, dem legendären Schauspiel von Heath Ledger und des augenscheinlich bösartigen Motivs des Jokers, mit dem wir uns dennoch irgendwie auf einer tiefen, animalischen Ebene identifizieren können, mit solcher Wucht sowohl den Zeitgeist als auch den Nerv des Publikums trafen, dass der Joker aus Christopher Nolans “The Dark Knight” nicht nur der beste Antagonist einer Comicbuch-Verfilmung aller Zeiten ist, sondern auch einer der facettenreichsten Bösewichter der Filmgeschichte.